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Dienstag, 4. Januar 2011

Neujahr in Kachetien

Djimiti, den 1. Januar 2011

Traditionell am letzten Tag des Jahres Kinder, Verwandtschaft und Kuchen ins Auto gepackt und nach Djimiti gerollt. Rechts und links von uns weitere vollgepfropfte Kleinwagen, die Fahrer in Erwartung ausgedehnter Weinfreuden, die Kinder mit roten Nikolausmützen und auf der Ablage mindestens einer der viereckigen Schichtkuchen. Für dessen Zubereitung man drei Schichten Kuchenteig, eine Dose Malako plus Margarine, Zucker, ein Tütchen Rosinen und geröstete Erdnüsschen braucht.

Die wenigen hundert Meter Höhenunterschied zu Tbilissi teilen sich unmissverständlich im Temperaturabfall mit, im Dorf sieht man schon niemanden mehr auf den Straßen kauern, alles flüchtet sich ins warme Zimmer wo der kleine hungrige Ofen ein Holzscheit nach dem anderen vertilgt.

Es ist so kalt, dass sogar die Wasserzisternen eingefroren sind, d.h. kein Wasser im Bad, kein Wasser in der Küche und Trinkwasser vom nächsten Brunnen. So geht es allerdings allen Dorfbewohnern, darüber zu klagen hält niemand für notwendig.


 















Am Abend ein familiäres Gelage mit ausgiebigem Rückblick auf die Errungenschaften des vergangenen Jahres, pro Familienmitglied ein Glas Wein. Gegen Mitternacht erwacht das stille Dorf zum Leben und es wird geschossen, geböllert, geleuchtkugelt, dass der Himmel raucht.

Das eigentliche Fest beginnt am ersten Neujahrstag. Heute stehen alle Türen offen, kleine Kläffer und kaukasische Schäferhunde sind in die Hintergärten verbannt, je ärmer die Familien, desto üppiger scheinen die Tische gedeckt! Da türmen sich nach üblicher Tradition die Teller mit Putenfleisch in Walnuss-Soße, gebratenem Ferkelfleisch, einzeln im Holzofen gegrilltem Schaschlik, süßem Kürbis, Spinat-Walnuss-Knoblauchpaste, gerösteten Walnüssen in Honig gekocht, und Schichtkuchen zu kleinen Rauten geschnitten, in allen Variationen. Zum Trinken Wein, Schnaps und selbstgebrauter Likör, Erholung bieten die heißen Mokkas in regelmäßigen Abständen.

Wer sich heute begegnet überreicht ein Bonbon oder Praline mit den Worten: So süß möge Dir das kommende Jahr sein! Auf den Straßen sieht man schon von weitem, den Gegenüber seine Bonbons zücken und muss sich beeilen, dem Redeschwall zuvorzukommen.

Am zweiten Januar haben wir das Schwein geschlachtet: das Jahr über gehegt und gefüttert, zehn Ferkel hat es hinterlassen und da hing es dann, in seiner ganzen Länge größer als alle Anwesenden. Der Schlächter, ein feiner, überaus gebildeter Mensch, trennte mit präzisen Schlägen den Kopf vom Rest und das beste Schaschlik vom Suppenfleisch. Während die letzten Teile zerlegt wurden, bruzzelten bereits die ersten Spieße überm offenen Feuer.

Und wieder endete man an der Tafel, mit Wein und Fisch und frischem Schaschlik und Schichtkuchen, Gott sei Dank auch bald der erste Mokka.

Samstag, 25. Dezember 2010

Tante Emma Laden "Sursaati"

Tagebuchnotiz Tbilissi, den 9. Dezember 2010

Wer in Georgien einkaufen geht sollte sich Zeit nehmen. Inzwischen gibt es gut organisierte Supermarktketten wie Goodwill und Populi, deren Mitarbeiter schon einen Hauch europäischer Geschäftigkeit zeigen. Nicht so in den so genannten Sur-saati- zu-jeder-Zeit-geöffnet-Lädchen, wie sie an jedem Wohnblock an jeder Ecke dicht an dicht zu finden sind mit ihrem sehr raumsparend gestapelten Angebot an Waschmittel, Reis, Ketchup, Chips und Instantkaffee.


Mindestens sechs Mal am Tag halten alle Verkäuferinnen, dampfende kleine Mokkatässchen in der Hand, oft auch die männlichen Kollegen aus dem angrenzenden Laden für Schrauben und Elektrozubehör. Nicht selten wird man dann dazu aufgefordert, erst am nächsten Tag zu bezahlen. Und ich kann mich noch immer nicht eines latent schlechten Gewissens erwehren, wenn ich mir Kekse abwiegen lasse, denn dazu muss sich die arme Verkäuferin quer durch ihren gesamten 12m²-Laden schieben.

Aber unterhaltsam ist es allemal. Am liebsten sind mir die Gespräche über ihre eigenen Produkte, von denen sie oft gar nicht wissen, wie man sie zubereitet: "Wie kochen Sie denn die Hirse? Kann man das wirklich essen?" oder: "Wie machen Sie Filterkaffee, Sie haben dafür eine Maschine?" Die meisten Verkäufer sind auch sehr hilfsbereit, z.B. bei der Auswahl der Kekse: "Die sind alt, die würde ich nicht empfehlen, schauen Sie, die sind ganz hart, nächsten Dienstag kommen vielleicht frische!"

Samstag, 18. Dezember 2010

Die Georgier

Djimiti, den 23. Juni 2008

Unerträglich in allem, unerträglich stolz, laut, sentimental, unerträgliche Nationalisten, unerträgliche Angeber, unerträglich georgisch. Sie können einander selbst kaum ertragen. Mein Literaturprofessor Wertheimer begann seine Einführung in den Argonautenmythos mit den Worten: „befreundet sein mit der kolchischen Königstochter Medea - machen wir uns nichts vor – wollen wir lieber nicht.“ Der österreichische Schriftsteller Clemens Eich, euphorisch eingereist, stellt ebenfalls bald fest: „man soll sich keinen Illusionen hingeben, es gibt nicht wenige Georgier, mit denen man nichts zu tun haben will.“ Und doch trifft man gerade hier Menschen, richtige Menschen, jeder eine Persönlichkeit.
Die Männer, tiefdunkle Augen, misstrauisch, feindselig und schon im nächsten Moment ungestüm, unvernünftig und voll unbändiger Ausgelassenheit.
Die Frauen mit großem, oft grob geschnittenem Profil, wuchtiger Nase und energischem Kinn, immer sagenhaft gut gekleidet und wenn sie sich bewegen, jedes Mal eine Offenbarung, der ganze Körper schwingt wie ein klingendes Instrument. Es ist der Gang ihrer Frauen, was den georgischen Männern in der Fremde besonders fehlen muss.


Donnerstag, 16. Dezember 2010

Gesundheitszeugnis für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung

Tbilissi, den 3. Juli 2008

„Das lässt sich in jeder beliebigen Poly-Klinik ausstellen.“ Wir haben drei Mal nachgefragt: „ja, gar kein Problem, kann Euch jeder ausstellen, kostet vielleicht 5 Lari.“ Das geht ja noch. Den restlichen Tag verbrachten wir damit, in der unerträglichen Hochsommerhitze sämtliche Tbilisser Krankenhäuser aufzusuchen, alle in verschiedensten Graden des Verfalls begriffen, immer mit der gleichen Antwort: „Gesundheitszeugnis? Wir? nein, da müssen sie woanders fragen!“ Selbst im neuen Supercrom-Klinikum mit deutschem Schäferhund vor dem Eingang, gläsernem Aufzug und bombastischer Eingangshalle, scheuchte man uns wieder fort, um sich lautstark der soviel wichtigeren Frage, des soeben verstorbenen Großvaters des Präsidenten zu widmen, bis wir schließlich verschwitzt, verstaubt und völlig erschöpft die Ruinen des Infektions-Klinikums erreichten. Über eine mit Gras und Unkraut überwucherte Terrasse gelangen wir durch einen Seiteneingang nach innen, und scheinen vorerst einmal am Ziel zu sein. Die Wände alle von schmutzig schimmeligem ex-weiß, der Plastikbelag, ein Edelparkettimitat an mehreren Stellen dürftig geflickt, hat sich längst von Wand und Boden losgesagt und seine Autonomie erklärt, „Ja“, sagte eine der zahllosen, untätig umherwandelnden Mitarbeiterinnen, „hier sind sie richtig, kein Lepra, aber Aids und Tuberkulose, ja, aber heute nehmen wir kein Blut mehr ab“, Blut abnehmen, hier??? Sie schloss ihr Büro zu und schob uns weiter zur nächsten Türe, dort schien die Mitarbeiterin in ihrem Sessel schon fast eingeschlafen, ihr gegenüber ein paar trübe Reagenzgläser mit Blut, auf einem Schränkchen, das leise vor sich hinrostete, „nein, heute geht nichts mehr, kommen Sie morgen wieder, um zehn Uhr“. Am nächsten Morgen um zehn war alles noch geschlossen, halb elf ließ uns eine Mitarbeiterin ein, auf dem Sessel saß bereits (oder noch immer) in der gleichen schläfrigen Lage unsere „Schwester“, auch die Reagenzgläschen samt Inhalt standen noch da, noch immer ohne Deckel. Aus der Tiefe der Vorkriegsschubladen – kruschtel, kruschtel – taucht ein weiteres Reagenzglas auf, die Spritze scheint allerdings tatsächlich neu, das Blut entnommen, und schwups ins Reagenzglas gespritzt, mit Edding beschriftet, und zu den anderen Genossen gestellt, Donnerstag früh können Sie das Ergebnis abholen, 38 Lari, alles Gute.


Jetzt fehlte nur noch eine Klinik, die uns den Lepratest ausstellt. Dort saß im Eingang die Rezeptionsdame im Solitär vertieft und schnaufte verärgert auf, als sie hörte, dass wir keinen Aids-Test, mehr benötigen, „woher kommen Sie denn?“ „Aus Deutschland.“ „aus Deutschland… 50 Lari!“ „50 Lari, weil wir Deutsch sprechen?“, „nein, weil wir die einzigen sind, die das machen!“ und ungeduldig winkte sie uns nach oben. Dort saßen schon ganze Scharen von Weißbemäntelten, flogen wie die Schmetterlinge von Tür zu Tür, lachten und schwatzten völlig unbekümmert. Ein paar einzelne Patienten drückten sich an den Wänden herum, wir wurden in ein Zimmerchen gebeten, die Ärztin fragte, „hat sie sonst noch was?“, „nein.“ „gut.“, ein paar Kürzel aufs Papier dann reichte sie das Blatt weiter, „stempeln bitte! das war’s, „wollen Sie mich nicht untersuchen?“ „wozu, das sieht man doch, dass Sie kein Lepra haben, bezahlen Sie vorne an der Kasse.“
So jetzt bin ich also keimfrei, und genügend im Bilde, was in diesem Land auf mich wartet, um dessen Aufenthaltsbewilligung ich mich so eifrig bemühe.

Unwetter des heiligen Ilja

Tagebuchnotiz, Djimiti, den 18. Juni 2008

Wenn es hier in Djimiti regnet, dann gleich mit einer solchen Heftigkeit, dass man jedes Mal meinen könnte, der ganze Himmel stürze über uns zusammen. Die Häuser sind aus diesem Grund alle mit Metall gedeckt, und jeder Bauer fürchtet besonders die gelb-schwarzen Wolken. Zu Recht, denn es braucht nur ein einziges Hagelunwetter zur falschen Zeit, und die gesamte Ernte, die Arbeit eines ganzen Jahres ist vernichtet. Zu Sowjetzeiten hatte man gefährliche Wolken aus eigens dafür eingerichteten Wetterstationen mit Raketen beschossen und zerstreut, um ihrem verheerenden Feldzug zuvorzukommen.

Ich liebe diese ziemlich häufig über uns hereinbrechenden Wetterüberfälle! Es ist ein ganz besonderer Wind, der den Regen ankündigt, die Schwalben fliegen so tief, dass sie mit ihren Flügelspitzen den Boden streifen, und schon hört man das quietschende Klappern im Kamin und die ersten Tropfen hart aufs Dach schlagen. Schreiend retten dann die Hausfrauen ihre Wäsche von der Leine, in Windeseile werden Decken, Kissen, Schweine und Kinder ins Haus geschafft und mit lautem Gegacker flüchten Hühner und Puten ins schützende Gehege. Und schon ist man mittendrin. Das Sturmsausen und Prasseln des Regens ist ohrenbetäubend, die Wolken drängen mit aller Macht durch die Straßen. Überall, wo sich Wasser sammeln kann, sprudelt und gießt es sturzbachartig hernieder und in Sekundenschnelle ist alles überflutet. Nicht Tür noch Fenster hält es auf, munter strömt es in unser Bad und durchweicht schonungslos meinen gesamten Vorrat an hellgelb flauschigem Toilettenpapier.

Indes wir in dicke Decken eingewickelt, dicht an einander gekuschelt in meinem Bett kauern, mit großen Augen dem Weltuntergangsgetöse lauschen, bei jedem neuen Donnerschlag ordentlich zusammen fahren und uns voller Begeisterung ausmalen, wie der Heilige Ilja hoch aufgerichtet in seinem gewaltigen Wagen steht und mit blitzender Peitsche die wilden Rösser quer über den nachtschwarzen Himmel jagt.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Tradition ist kein Zufall

Djimiti, den 7. Mai 2008

Heute den neuen Holzofen im oberen Stockwerk installiert, sollte eigentlich gestern geschehen, aber der, der das Metallstück für die Fensteröffnung zusägen sollte, war auf einer Beerdigung, halt, sollte eigentlich vorgestern geschehen, aber die Autoanmeldung hat sich von der geplanten halben Stunde auf zwei Tage erstreckt, da die Anmeldestelle für Busse nicht mehr da, wo bisher immer, sondern ganz außerhalb Tbilissis, und ohne Auto, das ja noch nicht angemeldet, nur mit verschiedenen Taxis mehrmals aufgesucht werden musste… na ja heute also sollte der Holzofen installiert werden, ein edles Stück aus Deutschland unter enormem Aufwand in unserem Gepäck mitgeführt, und mit ehrfürchtigen „aahs“ und „oohs“ von allen Seiten bereits gebührend bewundert. Voller Vorfreude wurden eifrig überdimensionale Sessel und ganz sicher nie genutzte Vasen, beiseite geräumt, die Fensterscheibe ausgehebelt, ein Metallstück eingefügt, von dem, der das kann, mit einer runden Öffnung für das Ofenrohr versehen, der Ofen selbst endlich unter großem Aufwand hereingeschleppt, ärgerlicherweise war der Teppich ein Stück zu lang, macht nichts, wird abgesäbelt, das Rohr durch die fast perfekte Fensteröffnung geschoben, nach Osten, von wo der Wind mit besonders viel Lebensfreude heranweht; huiiiih!!!  kaum hatte das erste Holzscheit spärlich Feuer gefangen, stob auch schon eine gewaltige Rauchwolke durchs Ofenrohr zu uns ins Zimmer, und als das Feuer erst einmal lustig flackerte Huiiiih!!! da qualmte und rauchte es gleich noch einmal so prächtig. Die Schaulustigen flohen schleunigst, wir riechen jetzt alle wie die Köhlersleut und neben dem Neuen schafft wieder, wie eh und je, der kleine klapprige Alte, dessen Rohr in den richtigen Kamin mündet, wie er seit Jahrzehnten die Menschen mit Wärme versorgt hat. Außerdem kann man auf ihm ganz wunderbar Brot aufbacken, Milch erwärmen und Espresso kochen.


Dienstag, 14. Dezember 2010

Unterwegs in Kachetien

Tagebuchnotiz, Djimiti, den 19. Juni 2010
Die legendäre Fahrweise der Georgier wieder einmal ausgiebig genossen, mit dem Microbus von Tbilissi nach Djimiti. Der blassblaue Transit wird sich seiner guten Tage kaum noch erinnern, doch innen ist er mit kariertem Samt, PVC und kleinen Teppichstücken liebevoll ausgestattet. Einige der weiß-karierten Ostblock-Plastiktaschen voll gestopft mit Gurken, Tomaten und Makkaroni blockieren bereits den schmalen Durchgang. Ein Neun-Sitzer, wie ich fachmännisch feststelle, doch als wir losfahren, sind wir mindestens Vierzehn, am Stadtrand steigen weitere Fünf zu.

Die letzten Ausläufer Tbilissis hinter uns, tritt der Fahrer aufatmend das Gaspedal ein wenig tiefer, ich lehne mich zurück und erblicke über mir ein Konvolut kleiner Ikonen: Gottesmutter Maria, heilige Nino, heiliger Georg: Schutzpatrone in ausreichender Zahl und Position. Vorne auf der Ablage liegen silberne Tetri-Münzen, die mit dem Hirsch und dem Löwen, sowie zwei Schachteln Winston Light. Eine Schachtel muss bald leer sein, dem Konsum meines Fahrers zufolge, und schwups, da fliegt sie auch schon am Fenster vorüber. Seit kurzer Zeit warten nicht zu knappe Strafen auf derartige Umweltsünder und ich registriere verblüfft den Gleichmut, mit dem ausnahmslos jeder Georgier darauf reagiert und warte gespannt, was mit dem Plastikpapier der neuen Packung geschieht. Ich kann ein Auflachen kaum unterdrücken, da ist sie auch schon ab und an uns vorbei.

Entspannt geht das Gaspedal noch eine Oktave tiefer und der Tacho hüpft begeistert auf 140. Wir fahren unerwartet gut gefedert, dicht an dicht vermisst keiner den Fahrgurt. Von Zeit zu Zeit bekreuzigt sich der ganze Bus, die Anlass gebenden Ninoklöster und Georgskirchen sind hinter dichtem Gestrüpp und Anwesen zu vermuten. Die Straße schlängelt sich durch kleine Dörfer, in denen die Häuser alle aussehen, als wären sie eben dabei, sich heimlich davonzumachen und schließlich durch ein Wäldchen in dem man zwischen den  Baumstämmen die letzten Reste russischer Stationierung erspähen kann.

Immer weiter reißt die Landschaft auf und das herrliche Sonnenland Kachetien breitet sich mit großartiger Gebärde vor uns aus: zahllose Weinfelder, die Wiege und Heimat von nahezu 500 Traubensorten, ein unvergleichlich schöner Anblick.
Es ist immer wieder märchenhaft, hier zu fahren, am späten Abend, wenn es überraschend schnell dunkel wird und der Vollmond über die Gombori-Hügel zu uns herab rollt, weich und rund wie ein Käsebällchen.