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Donnerstag, 16. Dezember 2010

Gesundheitszeugnis für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung

Tbilissi, den 3. Juli 2008

„Das lässt sich in jeder beliebigen Poly-Klinik ausstellen.“ Wir haben drei Mal nachgefragt: „ja, gar kein Problem, kann Euch jeder ausstellen, kostet vielleicht 5 Lari.“ Das geht ja noch. Den restlichen Tag verbrachten wir damit, in der unerträglichen Hochsommerhitze sämtliche Tbilisser Krankenhäuser aufzusuchen, alle in verschiedensten Graden des Verfalls begriffen, immer mit der gleichen Antwort: „Gesundheitszeugnis? Wir? nein, da müssen sie woanders fragen!“ Selbst im neuen Supercrom-Klinikum mit deutschem Schäferhund vor dem Eingang, gläsernem Aufzug und bombastischer Eingangshalle, scheuchte man uns wieder fort, um sich lautstark der soviel wichtigeren Frage, des soeben verstorbenen Großvaters des Präsidenten zu widmen, bis wir schließlich verschwitzt, verstaubt und völlig erschöpft die Ruinen des Infektions-Klinikums erreichten. Über eine mit Gras und Unkraut überwucherte Terrasse gelangen wir durch einen Seiteneingang nach innen, und scheinen vorerst einmal am Ziel zu sein. Die Wände alle von schmutzig schimmeligem ex-weiß, der Plastikbelag, ein Edelparkettimitat an mehreren Stellen dürftig geflickt, hat sich längst von Wand und Boden losgesagt und seine Autonomie erklärt, „Ja“, sagte eine der zahllosen, untätig umherwandelnden Mitarbeiterinnen, „hier sind sie richtig, kein Lepra, aber Aids und Tuberkulose, ja, aber heute nehmen wir kein Blut mehr ab“, Blut abnehmen, hier??? Sie schloss ihr Büro zu und schob uns weiter zur nächsten Türe, dort schien die Mitarbeiterin in ihrem Sessel schon fast eingeschlafen, ihr gegenüber ein paar trübe Reagenzgläser mit Blut, auf einem Schränkchen, das leise vor sich hinrostete, „nein, heute geht nichts mehr, kommen Sie morgen wieder, um zehn Uhr“. Am nächsten Morgen um zehn war alles noch geschlossen, halb elf ließ uns eine Mitarbeiterin ein, auf dem Sessel saß bereits (oder noch immer) in der gleichen schläfrigen Lage unsere „Schwester“, auch die Reagenzgläschen samt Inhalt standen noch da, noch immer ohne Deckel. Aus der Tiefe der Vorkriegsschubladen – kruschtel, kruschtel – taucht ein weiteres Reagenzglas auf, die Spritze scheint allerdings tatsächlich neu, das Blut entnommen, und schwups ins Reagenzglas gespritzt, mit Edding beschriftet, und zu den anderen Genossen gestellt, Donnerstag früh können Sie das Ergebnis abholen, 38 Lari, alles Gute.


Jetzt fehlte nur noch eine Klinik, die uns den Lepratest ausstellt. Dort saß im Eingang die Rezeptionsdame im Solitär vertieft und schnaufte verärgert auf, als sie hörte, dass wir keinen Aids-Test, mehr benötigen, „woher kommen Sie denn?“ „Aus Deutschland.“ „aus Deutschland… 50 Lari!“ „50 Lari, weil wir Deutsch sprechen?“, „nein, weil wir die einzigen sind, die das machen!“ und ungeduldig winkte sie uns nach oben. Dort saßen schon ganze Scharen von Weißbemäntelten, flogen wie die Schmetterlinge von Tür zu Tür, lachten und schwatzten völlig unbekümmert. Ein paar einzelne Patienten drückten sich an den Wänden herum, wir wurden in ein Zimmerchen gebeten, die Ärztin fragte, „hat sie sonst noch was?“, „nein.“ „gut.“, ein paar Kürzel aufs Papier dann reichte sie das Blatt weiter, „stempeln bitte! das war’s, „wollen Sie mich nicht untersuchen?“ „wozu, das sieht man doch, dass Sie kein Lepra haben, bezahlen Sie vorne an der Kasse.“
So jetzt bin ich also keimfrei, und genügend im Bilde, was in diesem Land auf mich wartet, um dessen Aufenthaltsbewilligung ich mich so eifrig bemühe.

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